Darstellung skripturaler Minderheiten

Ergebnisse

In Anbetracht der noch nicht abgeschlossenen Analyse sollen beispielhaft Auszüge aus den Ergebnissen skizziert werden.

Akteur*innen

Eine Trennung zwischen Menschen mit Behinderung und „dem Rest der Gesellschaft“ findet statt, wobei der Großteil der Gesellschaft als Normalität und bestehend aus „vollkommen gesunden“ Menschen konstruiert wird und Menschen mit Behinderung die Ausnahme darstellen. Braille-Nutzer*innen werden in einem Atemzug mit Randgruppen und marginalisierten Gruppen genannt und als homogene Gruppe mit gleichartigen Bedürfnissen dargestellt.

Als Fordernde an Politik, Gesellschaft etc. werden Braille-Nutzer*innen bzw. blinde Menschen im vorliegenden Korpus äußert selten dargestellt. Wenn Rahmenbedingungen thematisiert werden, werden blinde Menschen als dankbare Nutznießer*innen von „glücklichen Umständen“ oder einer „verständnisvollen Gesellschaft“ konstruiert, die einer Holschuld nachkommen müssen.

Häufig werden Braille-Nutzer*innen als potenzielle Nutzer*innengruppe für technische Innovationen beschrieben. Expertise wird ihnen hier aber großteils abgesprochen, das Wissen liegt vertikal gestreut bei Akteur*innen aus Wissenschaft und Forschung, die für die Entwicklung von technischen Innovationen verantwortlich sind.

Musterhaft zeigt sich, dass Braille-Nutzer*innen sich in ein bestehendes System zu integrieren haben und zu akzeptieren haben, dass manche Dinge für sie selbstständig nicht möglich sind (z.B. Covid-Selbsttest). Blinde Menschen brauchen Bewältigungsstrategien um ihre individuellen Probleme zu lösen, wobei der Gesellschaft bereits ein hohes Maß an „Entgegenkommen“ zugeschrieben wird. Dass es rechtliche Rahmenbedingungen gibt, die zu Chancengerechtigkeit und entsprechenden Maßnahmen verpflichten, findet kaum Erwähnung. Viel mehr wird unterstrichen, wie „Good-Will von Gesunden“ blinden Menschen etwa Zugang zu universitärer Bildung erleichtert. Es scheint unmöglich, dass sich Rahmenbedingungen darüber hinaus ändern. Vielmehr werden die bestehenden Rahmenbedingungen hervorgehoben und als Anlass zur Dankbarkeit hochstilisiert, sowohl in der Selbst- als auch der Fremdwahrnehmung.

Blinde Menschen werden stark als von Defiziten geprägt, als hilflos und schutzbedürftig dargestellt, die im Alltag ständiger Gefahr ausgesetzt sind und auf Rücksichtnahme, Verständnis und Empathie der Gesellschaft angewiesen sind. Der Bedarf an strukturellen Änderungen oder ein Streben nach Chancengerechtigkeit wird äußert selten thematisiert. Eine Systemänderung scheint außer Frage zu stehen.

Topoi

Sowohl im Kontext der Pressetexte als auch den gestalteten Lebensbereichen lassen sich die von Kleege (2006) beschriebenen Argumentationsmuster zwar grundsätzlich rekonstruieren, finden sich im österreichischen Kontext jedoch in unterschiedlicher Gestalt. In Anbetracht der noch nicht abgeschlossenen Analyse sollen beispielhaft zwei Topoi skizziert werden:

Signaltopos: Aufschriften in Braille signalisieren Blindheit. Dieser Topos findet sich in unterschiedlichen Gestalten. So wird er als Synonym für blinde Person genutzt und zeigt sich etwa in einem Pressetext, der über ein „Braille- Graffiti“-Projekt berichtet, das „Menschen, die Braille-Schrift lesen, mit Menschen, die es nicht können“ zusammenführen soll. Dass hier nicht ein Interesse an Schrift im Vordergrund steht, lässt sich durch Substituierung des Ausdrucks Braille durch Kyrillisch verdeutlichen. Bilder in den Artikeln heben diese Signalwirkung performativ hervor, sodass Hände auf Buchseiten diese vermeintliche Zusammengehörigkeit untermauern.

Barrierefreiheitstopos: Sobald eine Aufschrift in Braille erscheint sei Barrierefreiheit gegeben. Dieser Topos wird vor allem in den Alltagsdomänen deutlich, wie etwa die Aufschrift „uw“ auf der u:card oder „sv“ auf der e-card. Indem weder der Name noch die Sozialversicherungsnummer der Person, der diese Karte gehört, angeführt wird, ist kein tatsächlicher Informationszuwachs gegeben, da Karten ohnehin zumeist taktile Markierungen besitzen. Potentiell gefährlich kann dieses Informationsdefizit bei Medikamentenverpackungen werden. So enthalten Medikamentenverpackungen den Herstellernamen und die Produktbezeichnung, jedoch kein Ablaufdatum, Anweisungen zur Einnahme oder Warnhinweise. Auf Lebensmittelverpackungen finden sich keinerlei Informationen in Brailleschrift, sodass z.B. Allergeninformationen nicht erschlossen werden können.